“Wir kämpfen für das Leben” – Interview mit einer katalanischen Anarchistin und Feministin, die am Widerstand in Serekaniye teilnahm

Eine der ersten Städte, die während der am 9. Oktober 2019 begonnenen türkischen Invasion in Nordsyrien angegriffen wurden, war Serêkaniyê (Ras al-Ain). Zehn Tage wurde Widerstand gegen die zweitgrößte NATO-Armee geleistet, bis die Vereinbarung eines Waffenstillstandes – der von der türkischen Armee und ihren dschihadistischen Hilfstruppen nie wirklich eingehalten wurde – den Rückzug der Demokratischen Kräfte Syrien (QSD) aus Serêkaniyê implizierte.

Am Widerstand in Serêkaniyê haben sich auch Internationalistinnen und Internationalisten beteiligt. Dies ist ein Interview mit einer Anarchistin und Feministin aus Katalonien, die sich der Revolution von Rojava angeschlossen hat und am Widerstand in Serêkaniyê teilnahm, bis sie den Befehl zum Rückzug erhielt.

Warum hast du dich entschieden, nach Rojava zu gehen?

Ich denke im Wesentlichen wegen der Rolle, die Frauen in der Revolution gespielt haben, und ihrem Bezug auf den Aufbau einer basisdemokratischen Gesellschaft. Denn es ist wahr, dass wir von zu Hause aus zuhören, lesen und diskutieren, was in Rojava geschieht, aber man muss kommen und es selbst sehen, das habe ich aus den Erfahrungen anderer Menschen, die gegangen und zurückgekommen sind, verstanden. Zu sehen, wie in einem von Unterdrückung und einem totalitären Regime geprägten Gebiet ein demokratisches System aufgebaut wird, war und ist eine Erfahrung, die heute zu den Schritten gehört, die ich weitergehen möchte. Alle, die an den Kampf und die Befreiung unterdrückter Gebiete glauben, müssen nach Rojava kommen, um diese Revolution zu unterstützen und an ihr teilzunehmen.

Ich habe in dieser Revolution viele Dinge gesehen, die uns in Europa fehlen. Wie baut man ein starkes revolutionäres Projekt mit Kontinuität auf, das in der Gesellschaft verwurzelt ist und das die Frauen einschließt, ein Projekt, bei dem die Frauen die Vorhut sind? Und wie verteidigt man das alles? Wie können wir das zu Hause tun? Für mich war es ein logischer und notwendiger Schritt, hierher zu kommen.

Wie bist du in der Verteidigung von Serêkaniyê gelandet?

Irgendwann, nachdem ich einige Zeit damit verbracht hatte, die Gesellschaft kennen zu lernen und in ihr zu arbeiten, entschied ich mich, den Schritt zu wagen, den Frauenverteidigungseinheiten YPJ beizutreten. Ich konnte sehen, wie die Frauen litten und sich den YPJ anschlossen, um sich zu befreien, denn die einzige Lebensperspektive, die für viele Frauen sozial möglich ist, ist, einen von der Familie gewählten Mann zu heiraten und im Haus eingesperrt zu sein. Das war etwas, worüber ich schon lange nachgedacht hatte, aber nachdem ich viel mit Frauen in der Gesellschaft gearbeitet hatte, begann ich, eine Menge damit zu verbinden. Ich wollte mehr über den ideologischen und Lebensprozess der in Rojava aufgewachsenen kurdischen und arabischen Frauen wissen.

Wenn man eine Zeit lang hier lebt, zumindest war das meine Erfahrung, dann liebt man am Ende irgendwie die ganze Geschichte dieses Landes, nicht nur für das, was es einen Tag für Tag lehrt, sondern auch für die Verbindung mit der Geschichte und den Kämpfen, wo ich herkomme. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich als Internationalistin einen Teil meines Engagements für die Verteidigung dieses Landes, dieser Ideen und dieser Geschichte leisten muss. Also beschloss ich, meine militärische Ausbildung in den YPJ zu machen und mich den Verteidigungsaufgaben von Rojava anzuschließen. Einer meiner ersten Einsätze war bei Serêkaniyê. Ich wurde mit einer Verteidigungsgruppe dort hingeschickt, zwei oder drei Monate bevor die Türkei mit den ersten Drohungen gegen die Stadt begann. Die ganze Zeit waren wir dabei, die Stadt vorzubereiten, Wache zu schieben und all das.

Was meinst du mit „die Stadt vorbereiten”?

Einerseits ging es um die militärische Ebene, um sie gegen eine Luft- und Bodeninvasion verteidigen zu können, mussten Bauarbeiten durchgeführt werden. Auf der anderen Seite, um die Stadt auf sozialer Ebene vorzubereiten. Viele von uns kannten die Stadt nicht gut, so dass wir Zeit damit verbringen mussten, sie kennen zu lernen, und auch alle anderen Gruppen kennen zu lernen, ihnen bei allem Notwendigen zu helfen, bei der Logistik, bei der Überwachung …

Wie hat die Gesellschaft in dieser Situation reagiert?

Man verbringt 24 Stunden mit den Menschen, man lebt mit ihnen, in ihrer Nachbarschaft, und am Ende kennt man alle. Serêkaniyê hatte den Krieg 2012 erlebt, die Menschen wussten schon, was das war, also war die Atmosphäre ein bisschen angespannt, ziemlich angespannt. Wenn man zu den Familien geht, muss man stark sein, mit hoher Moral. Es gibt alle Arten von Reaktionen. Aber ich muss sagen, dass die Leute während der Vorbereitungszeit sehr angeregt waren. Sie sagten: „Es ist unser Land, wir werden es verteidigen.” Die Menschen öffneten ihre Türen für uns. Ein großer Teil der Zivilgesellschaft war an der Vorbereitung der Stadt beteiligt. In der Logistik, dem Essen … die Leute waren sehr animiert, es gab eine große Überzeugung, einen sehr starken Glauben an das, was sie taten. Sie wussten, dass eine Aufgabe nicht wichtiger war als die andere. Wenn niemand kochte, konnten die anderen nicht essen und nicht kämpfen, und wenn niemand kämpfte, konnte die Stadt nicht verteidigt werden und niemand würde essen. Allen war bewusst, wenn sie als Gesellschaft nicht existieren, gibt es auch die YPJ nicht und umgekehrt. Ein sehr starkes Gefühl, das alle vereinte, war das Gefühl der Verbundenheit mit dem Land, es verteidigen zu wollen. Jeder hat Erdogans Faschismus gesehen, jeder. Es gab auch eine Menge Diskussionen über die Rolle der USA, es gab eine Menge Diskussionen über die Idee, dass die USA der Feind von Rojava sind. Das war sehr wichtig für mich, um diese politischen Diskussionen führen zu können.

Die Mütter … die Mütter sind diejenigen, die am meisten leiden, weil sie keine wirtschaftlichen Ressourcen haben, sie haben viele Kinder, wenig Möglichkeiten, sich zu bewegen… Aber ich habe auch gesehen, dass konkret die Anwesenheit der YPJ den Frauen sehr geholfen hat. Denn wir haben mit ihnen gesprochen und sie haben gesagt: „Es ist gut, dass ihr hier seid”. Es war eine großartige Erfahrung, diese Verbindung zu schaffen, der Gesellschaft Kraft und Moral zu geben. Für mich war es eine sehr starke Sache, die Mütter zu sehen, denn als ihre Töchter den YPJ beitraten, hatten sie Angst, auf eine Art und Weise, dass man ihnen das Herz stiehlt. Aber sie wissen, dass ihre Töchter beitreten, um sie zu verteidigen, um ihre Mütter zu verteidigen, und sie sind sehr stolz. Ich habe viel an meine Mutter, an Katalonien, meine Gefährten von überall her gedacht …

Wie erinnerst du dich an den 9. Oktober, den Tag, an dem die Angriffe auf Serêkaniyê begannen?

Am Tag zuvor gab es bereits einen Angriff, einen Bombenanschlag, aber es war entschieden worden, darauf nicht zu antworten. Es war also eine Art Gespräch hinter den Kulissen, unter den Freundinnen, die in meiner kleinen Gruppe waren. Wir fragten uns, was passieren wird. Zwei Tage vorher waren wir auf der Straße und hatten Nachtdienst und alles war zu ruhig. Irgendwann spürt der Körper es, weil die Spannung steigt und der Körper es spürt.

Und am 9. Oktober, ich erinnere mich, es war Nachmittag, wir waren in unserer normalen Position, als wir die erste Bombardierung hörten und von unserer Stellung aus konnten wir den Rauch sehen. Ich erinnere mich, dass mein ganzer Körper, mein ganzes Blut, mir sagte: „Jetzt, komm schon, lass uns anfangen.” Natürlich hatte ich noch nie so ein starkes Gefühl erlebt, und es physisch zu sehen … Wir versammelten uns alle zu Hause und unsere Kommandantin sagte: „Macht euch alle bereit, holt eure Rucksäcke und geht in Stellung.” Von diesem Moment an war es, als ob sich die Dinge langsam auflösten … Plötzlich gibt es viele Geräusche, die man nicht versteht … Es gab eine Menge Rauch, die Stadt war bereit, die Beobachtung von der Luft aus durch Drohnen zu vermeiden. Sich unter diesem Rauch zu bewegen, wirkt sich psychologisch auf einen aus. Dann all die Autos voller Familien, die mit dem losfahren, was sie in zehn Minuten zusammensuchen konnten …

Ich schätze, der Faktor Luftwaffe war sehr wichtig, nicht wahr? Wie war es, gegen eine Armee zu kämpfen, die von Kriegsflugzeugen unterstützt wird?

Die ersten Tage waren sehr hart, denn mit den ersten Bombenangriffen kommen die ersten Verwundeten. Es sind keine Kriegsopfer aus einem Stellungskrieg, es sind Opfer von Explosionen, ganze Gruppen von Menschen, es ist eine andere Art von Krieg. Am Anfang war zum Beispiel der Transport von Verwundeten von Serêkaniyê nach Til Temir eine Lotterie. Krankenwagen und zivile Konvois, die keine militärische Bedrohung darstellten, wurden bombardiert. Menschen wurden bombardiert, und dann wurden auch Menschen bombardiert, die die gerade bombardierten Leichen abholen wollten. Es gab keine Skrupel, nur den Wunsch, das Gebiet zu erobern.

Als die Flugzeuge kamen, machten wir zuerst Witze unter uns. Wenn wir den Lärm eines Flugzeugs oder einer Drohne hörten, gab es immer eine, die sagte: „Es wird passieren, es wird passieren!” Aber es besteht immer die Unsicherheit, ob sie dich schon entdeckt haben und dorthin schießen werden, wo sie wissen, dass sie es müssen. Die Ungewissheit zu sagen: „Wo wird es landen?” Das erste Gefühl ist das des Weglaufens, aber der Punkt ist natürlich, dass wenn man wegläuft, man auch erkennbar ist. Wir blieben gefasst, niemand bewegte sich, wenn wir sie sahen. Wir kontrollierten die Angst und, die Ungewissheit. Dazu kam das vollste und tiefste Vertrauen zu den Gefährtinnen, die ich an meiner Seite hatte, um gegen die Eindringlinge und Faschisten zu kämpfen.

Ich hatte viel Vertrauen in die Freundinnen, mit denen ich die ersten Tage teilte, denn sie hatten Erfahrung in der Stadt und in den Bergen. Sie wussten, dass wir mit dieser Kriegsmaschinerie keine großen Möglichkeiten haben, aber wir haben die Strategie, den Mut all dieser Jahre des Widerstands. Wir wussten, dass die Luftwaffe eine Maschine ist, gegen die wir nicht frontal und direkt kämpfen können, aber deshalb gibt es andere Strategien. Sich zu bewegen, Ängste und Zweifel zu teilen und viel Geduld zu haben. Es braucht viel Geduld: Warten und Warten.

Was hast du noch von den erfahrenen Freundinnen gelernt?

Die Geschichte von Rojava hat eine Reihe von Werten, aber ich habe begonnen, diese Werte wirklich zu verstehen, als ich mit ihnen zusammen war. Alle haben Angst, aber ich habe die Frauen aus meinem Team nie zögern sehen. Ihr Kampf ist etwas, das sie so tief in sich tragen, das von der Ungerechtigkeit herrührt, von der Entscheidung, die sie getroffen haben, um alles für den Kampf zu geben, für die Verteidigung des Landes.

Ich sah es darin, wie sie sich umeinander kümmerten, wie, wenn eine müde war, die anderen sich um sie kümmerten. Ich sah schwer verletzte Genossinnen und Genossen kämpfen, sehr junge Menschen, die alle immer wussten, wo die anderen waren … Es gab Momente, in denen wir weitermachen mussten, aber wenn es Verletzte gab, waren sie das erste, was wir sahen. Und diejenigen, die verwundet wurden, wollten nur geheilt werden und zurückkehren an die Front. Ich habe gesehen, wie einige drei Tage lang nicht schliefen, drei Tage lang nichts aßen, tagelang die Schuhe nicht auszogen, alles teilten, nichts zu essen, kein Wasser hatten und das wenige, was sie hatten, teilten … Niemand wurde zurückgelassen. Ich habe niemanden zurückbleiben sehen.

Es gab ein sehr starkes Gefühl, dass wir dasselbe verteidigen. Dass es ein Kampf war, um das Land zu verteidigen, ein Kampf gegen den Faschismus, ein tausendjähriger Kampf. Denn was diese Menschen erleben, ist ein Versuch der ethnischen Vernichtung, einer Kultur und auch einer Bewegung, die von Frauen geführt wird. Zu sehen, dass alles, was man aufgebaut hat, was so viel Schmerz gekostet hat, auf der Ebene der Organisation der Gesellschaft, der Frauen, dass alles demokratisch, konföderal ist, dass es Strukturen gibt … zu sehen, wie all das in zwei Tagen zerstört werden kann … nun, natürlich, der Geist war nicht aufzuhalten, niemand hat sich ausgeruht. Es gab eine Kraft und einen Mut, einen Mut, der, wenn er nicht aus dem Herzen und dem Gefühl des „Genug” kam, der Widerstand in Serêkaniyê nicht so hätte sein können, wie er war, denn alle hatten Gründe, wegzulaufen. Warum gegen die zweitgrößte NATO-Armee kämpfen, wer kann sich dagegen wehren? Nur die Geschichte, die ideologische Überzeugung, die Verteidigung des Landes, die Verteidigung des Kampfes der Frauen kann das bewältigen.

Und ich habe nicht nur von den erfahrensten Genossinnen gelernt, für mich war es unglaublich, diese Zeit mit jungen Frauen von 18 bis 19 Jahren, Kurdinnen, Araberinnen zu teilen, die sich dem Kampf zur Rebellion gegen ein Leben angeschlossen haben, das sie dazu verurteilt hat, Frau des Hauses und eines Mannes zu sein, oder die sich aus ideologischer Überzeugung angeschlossen haben. Da sie so jung sind, haben sie den Mut aufgebracht, sich dem bewaffneten Widerstand anzuschließen, mit allem, was dies für die Gesellschaft bedeutet… Ich dachte an den spanischen Bürgerkrieg, an die Frauen der CNT-FAI. Elissa Garcia, zum Beispiel, die im Alter von 19 Jahren an der Front starb … Und zu sehen, wie die militanten Frauen der Bewegung den Weg für andere Frauen, für junge Frauen öffnen. Es war unglaublich. Es gibt auch viele Dinge, die ich nicht erklären kann, denn es gibt viele Gefühle, die wie Bilder sind, an die ich mich erinnere, die ich nicht in Worte fassen kann …

Welche Bilder kommen dir in den Sinn, wenn du an Serêkaniyê denkst?

[Lange Stille…] Viele. Ich erinnere mich von Anfang an, als meine Gruppe in zwei kleinere aufgeteilt wurde. Ich habe das Bild, als die Freundinnen der anderen Gruppe ihre Positionen einnahmen und wir woanders hin gingen. Ich dachte: „Vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich sie sehe”, und das blieb hängen. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Tag, die Rauchsäulen. Und wie sie ihre Biksi [ein Name, der im Volksmund auf das in der UdSSR entwickelte leichte Maschinengewehr PKM verweist] und ihre Rucksäcke trugen.

Und dann habe ich viele Bilder vom Krankenhaus in Erinnerung, denn ein Teil des Widerstandes wurde im Krankenhaus geleistet, das irgendwann Teil der Front wurde. Es waren fünf Tage, aber ich erinnere mich daran, als wären es zehn Stunden gewesen. Ich erinnere mich an das Krankenhaus, im Dunkeln, denn als sich die çete [ein Begriff, der wörtlich „Banden” oder „Söldner” bedeutet und sich auf die dschihadistischen Gruppen bezieht, die an der Invasion des türkischen Staates gegen Nordsyrien teilnehmen] näherte, gab es keinen Strom. Und inmitten der Dunkelheit das Licht der Zigaretten, die die Genossen rauchten. Und die Tore, weil das Licht durch die Tore kam. Ich sah nach den Verwundeten und fragte jeden einzelnen: „Wie geht es dir? Geht es dir gut? – Ja, ja, es geht mir gut.” Und die Verwundeten im Kampf. Weil wir alle wussten, dass wir umzingelt waren, dass wir in der Stadt gefangen sein würden. Und wir haben uns gegenseitig Mut gemacht, wir haben gesagt: „Niemand geht hier weg, denn hier verteidigen wir alles. Am Ende, als wir uns zurückziehen mussten, das letzte Bild von Serêkaniyê, die brennende Stadt, alles brennt …

Ihr wart eingekreist und aufgrund diplomatischer Vereinbarungen mit der Türkei wurde euch der Rückzug befohlen. Wie habt ihr diesen Befehl erhalten? Wie war der Rückzug für dich, nach so vielen Tagen des Kampfes ohne Ruhepause?

Der Befehl kam am Morgen und wir glaubten es nicht. Wir haben es zuerst nicht geglaubt. Aber ich weiß noch, wie schnell das Gefühl der Verzweiflung kam. Sie sagten uns, wir sollen gehen, um das ganze Material vorzubereiten. Der ganze Konvoi, alle Autos mit allen Verteidigungskräften gefüllt, wir gehen nach und nach hinaus und entdecken, dass der Feind auf die Straße gegangen ist. Sie alle haben ihre Verteidigungslinien verlassen und sind auf die Straße gekommen, sind auf die Balkone hinausgegangen, um den Korridor für uns zu machen, damit wir sie sehen können. Wir sahen die türkischen Soldaten und die Dschihadisten, einige in Militäruniformen, andere als Zivilisten getarnt, bis zum Krankenhaus. Wir sahen die Gesichter derer, die uns bis vor kurzem noch angriffen und sich 100 oder 200 Meter vom Krankenhaus entfernt versteckten. Ich erinnere mich, dass einer der Kommandanten uns sagte: „Lasst uns nicht schießen, lasst uns nicht schießen, denn der Krieg ist noch nicht vorbei”. Es war sehr schwer, wir haben nicht damit gerechnet. All das Adrenalin von so vielen Tagen, all die Emotionen, die enthalten sind… aber wenn man die Freundinnen sieht, die hier seit sieben Jahren kämpfen, plus einige zehn Jahre in den Bergen, dann hat man das Gefühl, dass man nicht traurig sein will.

Hast du das Gefühl, dass du kein Recht hast, traurig zu sein?

Ich habe das Recht, traurig zu sein, weil Serêkaniyê mein Zuhause war, weil ich meine Gefährten sterben sah, weil wir die Straßen verteidigt haben, weil ich die Familien getroffen habe, wie alle anderen auch. Aber auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass es ein harter, aber schöner Widerstand war, dass das, was wir getan haben, Teil der Geschichte ist. Und wenn man das nicht bedenkt, geht man schnell unter, die Moral sinkt, das Wort „Niederlage” kommt einem in den Kopf. Ja, militärisch mag es eine Niederlage gewesen sein, aber ideologisch zu keiner Zeit. Serêkaniyê ist ein Bezugspunkt gewesen, auch für die Bevölkerung. Viele Menschen haben zu den Waffen gegriffen, vor allem junge Männer und Frauen.

Historisch gesehen waren Waffen und der bewaffnete Kampf ein geschlossenes Feld für Frauen. Wie bist du damit in Berührung gekommen?

Ich denke, dass Frauen im bewaffneten Kampf immer präsent waren, aber unsichtbarer. Vielleicht in geringerer Zahl, aber im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Hinweise auf Frauen, die am bewaffneten Kampf teilgenommen und ein wenig die Basis und den Weg für viele von uns gebaut haben, um es als etwas Mögliches zu betrachten, einen Weg, der auch unser Weg ist.

In jedem Teil der Welt und in jedem sozialen und politischen Kontext, als Frauen und wegen der spezifischen Unterdrückung, die uns auferlegt wurde, haben wir immer Formen der Selbstverteidigung entwickelt, wir mussten immer die Werkzeuge benutzen, die uns zur Verfügung standen, um unseren Körper, unsere Gedanken, unser Leben, das Gebiet zu verteidigen. Als Frauen versucht man uns einzureden, dass dies nicht unsere Rolle ist, aber die Geschichte zeigt das Gegenteil, sie zeigt, dass wir immer in der Lage waren, nach Auswegen, nach Lösungen, nach Wegen des Kampfes zu suchen, und das ist es, was in Rojava geschieht. Die Frauen haben sich organisiert, um Strukturen, Lernräume, Unterstützung, Mechanismen zum Kampf und zur Verteidigung all dessen aufzubauen. Warum… wenn wir es nicht tun, wer dann? Wir können nicht erwarten, die Entscheidung darüber, wie wir kämpfen sollen, in den Händen anderer zu lassen. Wir können unsere Zukunft nicht Strukturen anvertrauen, die unterdrückend sind. Ich denke daher, dass die Selbstverteidigung etwas ist, das uns als Revolutionärinnen definiert und für Frauen im Allgemeinen war sie immer Teil unseres Lebens, weil wir immer das Objekt der Unterdrückung durch das Patriarchat, durch den Staat, durch alle gesellschaftlichen Institutionen waren. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Waffen in Rojava eine weitere Verteidigungsmethode sind, ein weiteres Element zum Schutz der Räume, in denen wir aufwachsen, und eine Möglichkeit, das kollektive Leben und die unterdrückten Völker zu verteidigen, bei denen die Frauen die Vorhut bilden. Für mich war es nicht leicht, dies anzunehmen, es war ein großer Lernprozess.

In meiner Familie haben nur Männer an dieser Form des Widerstands gegen Franco teilgenommen, im Grunde genommen nur mein Großvater. Aber mit dem Hinweis meiner Mutter, meiner Großmutter, der Frauen meiner Familie, die sich während des Franco-Regimes und nach der Unterdrückung des Franco-Regimes organisiert haben, dass einige sich organisiert haben und andere nicht, aber wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, hätten sie diesen Weg nicht verworfen, wie ich es getan habe, dass die Möglichkeit zu haben und Genossinnen an unserer Seite zu haben, wie könnte ich nicht an diesem Kampf teilnehmen?

Und es war ein Prozess, ein hartes Lernen, sehr hart. Denn das Wichtigste ist nicht, zur Waffe zu greifen, sondern zu wissen, warum man sie nimmt. An einem Punkt denkt man: „Vielleicht werde ich hier fallen”, und das Gefühl war „wir kämpfen um das Leben”. Es ist ein Lernprozess, und ich lerne weiter.

Wie war das Verhältnis zu den männlichen Genossen? Gab es einen Unterschied in der Behandlung?

Während des größten Teils des Kampfes um Serêkaniyê, während der ich in der Verteidigungslinie war, waren wir hauptsächlich Frauen. Es waren auch Männer in unserer Gruppe, aber wir waren hauptsächlich Frauen. Zu keiner Zeit nahm ich Befehle von einem Mann entgegen, meine Kommandantin war immer eine Frau. Ja, es gab gewisse Momente, in denen ich mich überbeschützt fühlte, aber ich glaube, es war mehr, weil ich Internationalistin war. Am Anfang gab es diese Momente, aber sie verschwanden schnell durch die Härte des Krieges und durch den täglichen Austausch.

Ich war von Frauen umgeben und es gab keinen Raum für geschlechtsspezifische Unterschiede, zumindest habe ich das erlebt. Ich sage nicht, dass es keine Dominanz der männlichen Genossen gegenüber den Frauen gibt, aber man sieht, dass hier eine jahrelange Arbeit zu diesem Aspekt stattgefunden hat. Warum versetzen wir uns oft in diese Rolle? Wir haben sie verinnerlicht. Die Frauen hier haben eine Haltung, diese Rolle nicht zu akzeptieren, eine Haltung, zu sagen: „Wir warten nicht auf die Veränderung der Männer, wir sind der Motor dieser Veränderung.” Und diese Haltung hat den Männern auch sehr geholfen, den Einstellungswandel zu verstehen, den sie vornehmen sollten, wenn sie mit Frauen zusammen kämpfen.

Im Krankenhaus zum Beispiel, wo es mehr Männer gab, habe ich einen größeren Unterschied bemerkt, aber wir haben uns nicht darum gekümmert. Das konnten wir nicht. Wir waren vier oder fünf Leute, die sich täglich um 40 Verwundete kümmerten, abgesehen von den Gefallenen, und es ging nur darum, zu funktionieren, zu arbeiten und zu arbeiten, und in den Momenten der Ruhe, Wache zu stehen und zu kämpfen.

In einem Kriegskontext ist jedem sehr klar, wer der Feind ist. Das ist es, was ich manchmal zu Hause vermisst habe, bei mir selbst und bei anderen. Wir haben so viele offene Fronten und so viele Feinde, dass wir nicht in der Lage sind, etwas Solides aufzubauen.

Während der Kämpfe in Serêkaniyê gab es in Europa und zum Beispiel speziell in Katalonien Demonstrationen, Aktionen, Solidaritätsbekundungen mit Rojava. Hat dich das erreicht? Wie hast du davon gehört?

In Serêkaniyê hatten wir nicht viel Kontakt zur Außenwelt. Meistens funktionierten die Telefone nicht, das Internet funktionierte nicht, aber in den wenigen Momenten, in denen es ging, haben wir uns damit beschäftigt, wie die Lage im Gebiet und die militärischen Bewegungen waren. Außerdem ging es um die Frage, wie es den anderen Freundinnen und Freunden ging, und das Betrachten dessen, was zu Hause, in Europa, geschah. Also natürlich, jede Demonstration, jeder Text, jede Aktion, jedes Foto, jede Geschichte… in fünf Minuten wussten alle Bescheid. Wir rannten dann schnell los, um es den anderen zu zeigen, denn die Moral stieg sehr stark an. Zum Beispiel in Katalonien die Fotos der Eastelada (katalanische Flagge), der schwarzen Flaggen, der YPG- und YPJ-Flaggen zu sehen… das war unglaublich für uns. Die Vereinigung all dieser Kämpfe zu sehen… und für die Menschen der Bewegung hier war es unglaublich. Viele Male haben sie es nicht geglaubt. Ich zeigte ihnen die Fotos von den Unruhen in Katalonien, die Banner, die Fackeln, und es war aufregend, dies zu teilen und sagen zu können: „Schaut, schaut! Katalonien, mein Land!”.

Das Gefühl war, dass man nicht allein war, dass die Menschen mit einem verbunden waren. Wir haben nie etwas von den Staaten erwartet und werden nie etwas von ihnen erwarten, aber auf der Ebene der Gesellschaft, auf der Ebene der Menschen, des Mitgefühls, des Gefühls der gleichen Unterdrückung war das sehr wichtig. Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie die Frauenbewegung, welche Organisation auch immer, in ganz Europa reagiert hat, um Serêkaniyê zu verteidigen und zu unterstützen. Ich kann nicht genug darüber sagen, wie die Frauen hart gearbeitet haben, um uns die Wärme und die Verantwortung zu geben, die viele Menschen in Europa mit Rojava empfunden haben.

Was sind deiner Meinung nach die Lehren, die von hier aus an die Bewegungen und Kämpfe in Katalonien exportiert werden sollten?

Ich glaube, eines der wichtigsten Dinge, die ich hier gelernt habe, ist der Wert des Engagements. Die Verpflichtung, sich wirklich zu entscheiden, für den Rest des Lebens zu kämpfen. Eine Entscheidung zu treffen, die nicht einfach ist, und die ganze Energie und Zeit dem Aufbau einer Basis zu widmen, um dies langfristig und mit Perspektive zu tun. Die Dinge nicht zu schnell zu tun, sondern eine Perspektive zu haben, was es bedeutet, revolutionäres Territorium einschließlich der Gesellschaft aufzubauen. Ich sage nicht, dass es kein Engagement in Katalonien gibt, ich sage, dass eine Zeit kommt, in der es angesichts der Unterdrückung keine Möglichkeit gibt, den halben Weg zu gehen, sondern das eine oder das andere. Und manchmal würden wir erwarten, dass wir gut vernetzt sind, um zu reagieren, aber wenn wir reagieren, ohne die gesamte Basis auf sozialer, ideologischer und struktureller Ebene aufgebaut zu haben, wird die Antwort auf die Angriffe sehr kurz sein. Sie wird nicht lange dauern, denn sie wird nicht ideologisch sein, sie wird nicht auf gemeinsamen und geteilten Werten beruhen.

Und dann, natürlich … wie soll ich es auf Katalanisch sagen? Hier wird viel von bawerî, von Glauben geredet. Ich glaube, dass wir zu Hause kein Vertrauen in unsere eigenen Schritte, in unsere Strukturen, in unser Engagement, auch auf der Ebene des Lebens haben. Denn wenn wir nicht bei uns selbst anfangen, wenn wir nicht gegen unsere sexistische Persönlichkeit kämpfen, gegen den Wettbewerb in uns und die kapitalistische Mentalität, die wir haben, wenn wir nicht lernen, kollektiv zu leben, wie können wir dann eine wirkliche Veränderung in Betracht ziehen? Das ist es, was ich hier gesehen habe, dass Leben und Kampf dasselbe sind, dass wir die Menschen wieder zum Glauben bringen müssen, dass wir uns wieder organisieren müssen und keine Angst vor dem Unterschied haben müssen, denn der Unterschied macht die Gemeinschaft aus. Schaut hier, in Serêkaniyê, waren die Familien und die Schwestern Kurden, Araber, Armenier, Türken, Internationale… manchmal sprachen wir nicht einmal die gleiche Sprache und wir verteidigten alle die gleiche Sache. Und ja, hier gibt es einen Kontext des Krieges, aber zu Hause gibt es auch Krieg, die Gesellschaft leidet auch unter Krieg, einfach auf eine andere Art und Weise: in Form von Lohnarbeit, Vertreibungen, dem Patriarchat… und in Katalonien, nach dem Referendum, mit all der Repression. Die Festung Europa wird weiter ausgebaut, wir haben weiterhin Genossinnen und Genossen im Gefängnis, Vertreibungen aus historischen Projekten, Belagerung der Einwanderer, Kriminalisierung der Abtreibung, Privatisierung der Gesundheit, Weltgipfel, um über die Zukunft der Bevölkerung zu entscheiden, Kontrolle und Polizeigewalt aller Art … Und Russland, der spanische Staat, Deutschland, die Vereinigten Staaten stehen an der Seite von Erdogan. Krieg!

Die anarchistischen Ideen lehrten mich den Kampf der Revolutionäre des Bürgerkriegs, die Genossinnen und Genossen, die ich in Europa habe, lehrten mich die Kraft und die Notwendigkeit, Kämpfe miteinander zu verbinden, der internationalistischen Solidarität. Die Menschen in Rojava und Kurdistan lehrten mich die Bedeutung der Einheit und des Engagements, um ein Land zu bauen und die unterdrückten Kulturen unter den Ruinenbergen zu verteidigen. Und ihr alle habt mich den Wert des Kampfes zur Verteidigung des Landes und der Freiheit von Müttern, Schwestern, Genossen gelehrt, sowie den Aufbau einer anderen Gesellschaft, von revolutionären Werten mit einem starken Fundament. Ich sehe die Zukunft anders … Die Zerstörung des Staates, der Sturz von Gefängnissen und Polizeistationen, die Isolation von Banken und Großunternehmen, die Konfrontation mit faschistischer und patriarchalischer Politik – all das sind Aufgaben, die Engagement, Entscheidung und Mut verdienen.

Gegenseitige Unterstützung, kollektive Entscheidungsfindung, Organisation der Nachbarn, Verteidigungsstrukturen, Engagement, Mut … Wir sind bereit, fangen wir an zu laufen.

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