„Wir wissen nicht, ob wir nach allem, was wir durchgemacht haben, nach all der Folter und der Gewalt, in unser Land zurückkehren können.“

Women Defend Rojava und Kongra Star untersuchten die Schäden und Gewalt, die die Menschen aus Nord- und Ostsyrien aufgrund der Angriffe des türkischen Staates und seiner dschihadistischen Söldnertruppen erlitten. In diesem Bericht veröffentlichen wir Informationen über eine Familie, die in Girê Spî lebte und von dort aufgrund der Gewalt der Besatzungstruppen vertrieben wurde.

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Name der Interviewten: Zerka Sedo Kino

Name ihrer Mutter: Besûn

Geburtsdatum: 17.09.1971

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Zerka Sedo Kino ist verheiratet und lebte in einem Dorf Celge, etwa 10 km von Ayn Îsa entfernt. Sie erklärte ihre Situation so:

Zu Beginn der türkischen Drohungen gegen Nord- und Ostsyrien, zu Beginn des Krieges und der Besatzung von Girê Spî waren wir weder mit der Autonomieverwaltung noch mit einer anderen Gruppe in Girê Spî verbunden. Wir sahen uns auf keiner Seite, also beschlossen wir, an unserem Ort zu bleiben.

Als der türkische Staat und seine dschihadistischen Söldner die Region Girê Spî angriffen und besetzten, wurden in der Regel die Dörfer, die mit der Autonomieverwaltung verbunden waren, geräumt. Aber, wie ich bereits sagte, sahen wir uns auf keiner Seite, also beschlossen wir zu bleiben. Auch in unser Dorf kamen die Besatzungstruppen. Sie zerstörten und plünderten alle Häuser und errichteten ihre Basis in unserem Dorf. Nach zwei Tagen kamen sie zum Haus des Bruders meines Mannes und verhafteten ihn unter dem Vorwand, dass er mit der SDF zusammenarbeite. Sie nennen jeden, der mit der SDF in Verbindung steht, einen Terroristen. Sie sagten, er werde dafür bezahlen, obwohl er nie mit der SDF zusammen gearbeitet hatte. Aufgrund dieses Ereignisses warnten uns unsere Nachbarn und rieten meinem Mann, sich gut zu verstecken, denn beim nächsten Mal würden sie ihn holen. Deshalb ging mein Mann zu einem arabischen Freund, um sich dort zu verstecken, aber sie erwischten ihn auf dem Weg dorthin. Ich wusste nichts davon, denn unsere Telefonverbindung war unterbrochen.

Später erhielt ich einen Anruf vom Telefon des Bruders meines Mannes. Sie sagten mir, ich solle das Dorf nicht verlassen. Das war die Forderung der Entführer. Sie drohten mir, ihn zu töten, wenn ich das Dorf verlasse.

Mein Mann und sein Bruder wurden während ihrer Entführung brutal gefoltert. Sie fesselten ihre Hände auf dem Rücken und hängten sie in die Luft, wobei sie sie an den Händen schwingen ließen. Sie nannten diese Folter „Belingo“. Auch schlugen sie sie mit Kabeln. Aufgrund dieser Folter waren mein Mann und sein Bruder gezwungen, falsche Aussagen zu machen, um sich selbst zu retten. Sie sagten, dass sie als Asayiş arbeiten und dass sie zu den Waffen griffen.

Nach einigen Tagen kamen die Besatzungstruppen mit einem Auto voller Waffen und Dutzend anderer bewaffneter Gruppen in das Dorf. Sie luden ihre Waffen und befahlen allen Jugendlichen, sich zu ergeben, und allen Menschen, all ihr Hab und Gut abzugeben. Telefone, Geld, Gold… Wir hatten große Angst, also gab ich ihnen alles, was wir in unserem Haus hatten. Ich nahm unsere 70 Schafe und brachte sie zu ihnen.

Sie schickten uns einen kleinen Geldbetrag, um ein Treffen zu arrangieren, und forderten dann unseren Jeep und eine Kalaschnikow als Lösegeld für meinen Mann und seinen Bruder. Ich wusste, dass sie sie nur dazu benutzten, um das zu bekommen, was sie wollten. Naja jedenfalls stimmten wir zu, aber wir baten sie, beide sofort freizulassen. Als wir ihnen das sagten, legten sie den Hörer auf. Nach einigen Tagen kamen sie bewaffnet zu uns und nahmen unseren Toyota-Jeep mit. Später sah ich ein Video mit unserem Auto, das vor einer Militärbasis in Serê Kanîyê brannte.

Nachdem sie alle unsere Telefone überprüft hatten, sahen sie ein Bild meiner Tochter in Militärkleidung. Sie trug diese Kleidung nur einmal, um ein Foto zu machen und es als Erinnerung zu behalten. Aus diesem Grund kamen sie zu uns und sagten, dass die Militärkräfte meine Tochter verhören wollen. Ich brachte meine Tochter an die Tür ihres Zentrums in Girê Spî. Sie verhörten sie, drohten ihr mit Folter, Inhaftierung und der Tötung ihres Vaters, wenn sie nicht die Wahrheit sagen würde. Aber meine Tochter wusste nichts. Sie erklärte, dass sie nie Teil einer militärischen Gruppe war und wie jede 19-Jährige die Kleidung anprobieren wollte. Sie sperrten sie mit ihrem Vater und ihrem Onkel für zwei Tage ins Gefängnis und brachten sie alle vor einen türkischen Richter, da die türkische Gemeinde eröffnet worden war. An dem Termin der Anhörung arbeiteten nur Türken dort, es waren jedoch auch Übersetzer anwesend. Danach ließ der Richter sie alle frei.

Mehr als 7 unserer Familienangehörige wurden verhaftet und im Laufe der Zeit wieder freigelassen. Also beschlossen wir, das Dorf zu verlassen. Wir gingen heimlich in der Nacht und blieben mitten in der Wüste. Wir informierten einige Leute über unsere Situation, um die SDF in Ayn Îsa zu informieren und um deutlich zu machen, dass wir Zivilisten sind und um jegliche Verwirrung zu vermeiden. Die SDF holte uns ab und wir konnten bis zum nächsten Tag bei ihnen bleiben. Sie halfen uns sehr und gaben uns alles, was wir brauchten. Am nächsten Morgen brachen wir auf und kamen bei unseren Freunden in Kobanê an.

Im Moment sind wir in Kobanê. Wir haben nichts, denn alles wurde uns gestohlen. Wir haben kein Haus, kein Geld und wir wissen nicht, was aus uns werden wird. Wir wissen nicht, ob wir nach allem, was wir durchgemacht haben, nach all der Folter und der Gewalt, in unser Land zurückkehren können.

Wir hoffen, dass der Krieg beendet wird und ein internationales Tribunal all diese Söldner und ihre Führer sowie den Präsidenten des türkischen Staates Erdogan strafrechtlich verfolgen wird. Sie haben keine Rechte gegenüber unserem Volk, da ihr einziges Ziel Völkermord, Mord und ethnische Säuberung ist. Nicht nur am kurdischen Volk, sondern an der gesamten Bevölkerung Nord- und Ostsyriens. Sie wollen die Sicherheit und Stabilität zerstören, die unter der Autonomieverwaltung aufgebaut wurde.

Ich fordere alle internationalen und Menschenrechtsorganisationen auf, den Menschen in der Region bei der Durchsetzung der internationalen Gesetze zu helfen, die diese Institutionen zu wahren vorbgeben. Seien Sie nicht taub und stumm gegenüber der Realität hier.

14.01.2020

Women Defend Rojava Informationskomitee Kobanê

Kongra Star Diplomatie

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