Ein Angriff auf eine von uns ist ein Angriff auf uns alle.

Treffen von Women Defend Rojava mit Asya Abdullah:

Am 19.09. trafen sich Vertreter*innen der Women Defend Rojava Komitees aus Deutschland mit Asya Abdullah, einer Sprecherin des Nord- und Ostsyrischen Frauendachverbands Kongra Star. Kongra Star hatte die internationale Kampagne „Women Defend Rojava“ anlässlich der türkischen Angriffe auf Serêkaniyê und Girê Spî im August 2019 ins Leben gerufen. In dem gemeinsamen Treffen machte Asya Abdullah zunächst eine Analyse gegenwärtiger politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen in der Region Nord- und Ostsyrien, aber auch darüber hinaus, und berichtete von den jüngsten Arbeiten der kurdischen Frauenbewegung in Rojava. Daraufhin folgte eine Auswertung der bisherigen Arbeiten im Rahmen der Kampagne “Women Defend Rojava”, unter der seit ihrer Gründung vor zwei Jahren zahlreiche und vielfältige Aktionen stattfanden. Gemeinsamer Abschluss des Tages waren Diskussionen, Austausch und Planung der Vertreter*innen über gemeinsame Perspektiven und nächste Schritte für die Zukunft. 

Zur gegenwärtigen politischen Lage sagte Asya Abdullah, dass sich weltweit eine Zuspitzung von Kapitalismus und Patriarchat beobachten lässt. Das kapitalistische Patriarchat schafft Profit mit Unruhen, schafft Profit mit Krieg in Kurdistan. Die Großmächte wollen keinen Frieden vor Ort, weil Frieden das Ausbleiben von Profit bedeutet. “Gestern war es der IS in Syrien/Rojava heute sind es die Taliban in Afghanistan, wir wissen nicht, was morgen kommt, aber es betrifft uns Frauen weltweit. Ein Angriff auf eine von uns, ist ein Angriff auf uns alle und genauso gibt uns jeder Erfolg Kraft und jede Niederlage betrifft uns alle”, so Asya Abdullah. Sie betonte in ihrer Analyse, dass die feministische Selbstverteidigung auf allen Ebenen, gegen die verschiedenen Formen von Gewalt von Feminiziden über Krieg bis hin zu Vertreibung und der ökonomischen Ausbeutung, unerlässlich ist. Die Arbeit in Nord- und Ostsyrien zeige, dass die autonome Organisierung und der politischer Kampf grundsätzlich sind und als Voraussetzung für eine mögliche Befreiung vom Patriarchat verstanden werden müssen.

Anhand des Krieges in Kurdistan lässt sich klar beobachten, wie Frauen auf der einen Seite vom kapitalistischen System instrumentalisiert werden, um seine Krise auf Kosten ihrer Rücken auszutragen und auf der anderen Seite versucht wird die Frau, als treibendes Element der Gesellschaft, zu brechen. 

Mit dem Austritt der Türkei aus der İstanbul Konvention sind die letzten Hemmungen des türkischen Staates, die Frauenrevolution anzugreifen, gefallen – und das ebenfalls auf allen Ebenen. Krieg ist mehr als militärischer Kampf, wie Asya Abdullah bei dem Treffen klar darlegte. Krieg ist weitaus vielschichtiger. In ihrer Analyse betonte sie auch die wirtschaftliche Ebene des Krieges, in der der türkische Staat für eine zunehmend instabile Grenzsituation sorgt und die Ressource Wasser als Kriegswaffe nutzt. Das Abkappen der einzigen Wasserzufuhr für die autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens, die Flüsse Euphrat und Tigris in der Türkei, nutzt der Staat systematisch als Kriegswaffe, um das Land auszutrocknen und die Menschen zur Migration zu zwingen. Asya Abdullah betonte, dass dies als gezielt angewendete Taktiken von Erdoğan und seinem AKP/MHP-Regime zu werten ist, um den demografischen Wandel voranzutreiben. Sie hebte hervor, welch schwierige und große Verantwortungen Frauen tragen: “Wir kämpfen für die Freiheit, gleichzeitig müssen wir ein System gründen und aufrechterhalten”. Der Selbstorganisation von Frauen kommt eine große Bedeutung zu, da explizit sie von den Kriegsauswirkungen am härtesten betroffen sind. Frauen auf der Flucht können sich nicht organisieren, sie werden ermordet, verschwinden, landen in türkischen Gefängnissen, in den Händen vom IS oder sterben im Mittelmeer. Eine der Arbeiten von Kongra Star ist es, trotz der Kriegssituation, die Geschichten der Frauen zu dokumentieren und ihnen somit eine Stimme zu geben. “Doch sie werden uns nicht ermöglichen, diese Sachen vor Gericht zu bringen”, erläutert Asya Abdullah. Im Austausch über die Geschehnisse in den besetzten Gebieten wurde deutlich, dass eine der Aufgaben der “Women Defend Rojava” Kampagne ist, auch hier in Deutschland auf die Dokumentation der Verbrechen in den besetzten Gebieten aufmerksam zu machen und den deutschen Staat als Mittäter für diese Verbrechen in die Verantwortung zu nehmen.

Zu den Erfolgen von Kongra Star berichtete Asya Abdullah, dass die autonome Organisierung in Nord- und Ostsyrien es geschafft habe, gesellschaftlich zu arbeiten und dort wichtige Schritte hin zur Geschlechterbefreiung zu gehen. Es wurde eine Frauenquote von 50% in den Räten, Kooperativen und Gremien erreicht und mit dem Prinzip des Ko-Vorsitz ein weiterer Meilenstein gesetzt. Diese Quoten und die Einhaltung dieser  Prinzipien ziehen sich durch alle wichtigen Bereiche. Es gibt Schutzhäuser die als sicherer Zuflucht dienen und das nicht nur in Konfliktsituationen. Sie bieten Möglichkeit für Frauen sich gegenseitig zu helfen und zu stärken, in allen gesellschaftlichen Bereichen, wie im Bildungssektor oder Gesundheitswesen – und zwar im weitesten Sinne, weil Frauen sich an Frauen wenden können sollen, wie Asya Abdullah es formulierte. Es gibt Akademien zur Bildung, zugänglich für alle, womit die Beteiligten des Austauschs zu einem Kern ihrer gemeinsamen Arbeiten kommen. Sowohl Kongra Star als auch Women Defend Rojava haben einen Fokus auf Bildungsarbeiten – Verteidigung durch Wissen. 

Nach dieser Bewertung vor Ort bewerteten die deutschen Lokalen ihre Arbeiten und kamen gemeinsam in einen Dialog über die zukünftigen Arbeiten. Dabei kristallisierte sich immer wieder heraus, dass ohne eine autonome Organisierung von Frauen und weiteren unterdrückten Geschlechtern eine Befreiung der Gesellschaft unmöglich ist. Es zeigte sich deutlich, dass in vielen Lokalen die Arbeit gegen Feminizide ein Schwerpunkt ist, so zum Beispiel in Berlin und Kassel. Dort wurden Widerstandsplätze gegründet, auf denen sich immer wieder im Kampf gegen Feminizide versammelt wird und getrauert werden kann. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt ist der Kampf gegen Militarisierung. Das Anpragern und der Protest gegen deutsche Rüstungsexporte durch Konzerne wie Rheinmetall, deren Waffenexporte unter anderem an den türkischen Staat gehen, war ein Fokus, z.B. in Braunschweig und Tübingen.

An vielen Stellen wurde deutlich, dass in den einzelnen Arbeiten und Aktionen immer wieder auf die Rolle Deutschlands hingewiesen werden muss. Darüber hinaus ist es eine zentrale Aufgabe der “Women Defend Rojava” Kampagne in Deutschland, immer wieder auf den Krieg in Kurdistan aufmerksam zu machen, insbesondere, weil es kaum mediale Berichterstattung darüber in Deutschland gibt. “Besatzung ist Gewalt und Besatzung ist das, was in Kurdistan stattfindet”, so die Teilnehmenden. Letztendlich ginge es jedoch darum, die Stimmen aller Unterdrückten weltweit zu stützen und die Kämpfe nicht getrennt voneinander zu sehen.

Die Vertreter*innen der Women Defend Rojava-Komitees in Deutschland brachten am Ende des Treffens klar zum Ausdruck, wie wichtig der Aufruf von Kongra Star zur Kampagne “Women Defend Rojava” damals war. Damit wurde vielen Frauen und weiteren Geschlechtern, sowohl in Kurdistan als auch in Deutschland deutlich, welche immense Bedeutung die autonome Organisierung hat. Die Kampagne und die damit entstandene Organisierung war für viele ein Wendepunkt in der politischen Arbeit, aber auch in ihrem Leben, da viele anfingen zu verstehen, was Selbstverteidigung tatsächlich bedeuten kann. Dafür danken die Vertreter*innen von “Women Defend Rojava” in Deutschland Kongra Star und Asya Abdullah.

Dieser Internationalismus gibt Kraft und Hoffnung auf Veränderung und den demokratischen Weltfrauenkonförderalismus. In diesem Sinne: Jin, Jiyan, Azadî!

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