Mit Aya Ali al-Muhammad setzen wir eine Reihe von Geschichten über junge Frauen fort, die von der türkischen Armee in Nord- und Ostsyrien ermordet wurden. Junge Frauen, die ihren Teil der Verantwortung in einer vom Krieg zerrütteten Region übernommen haben und an ihren Arbeitsplätzen starben. Sie hinterlassen leidende Familien, aber auch eine Gesellschaft, die entschlossen bleibt, die Zeit des Krieges hinter sich zu lassen und ein friedliches und demokratisches Zusammenleben mit allen ethnischen Gruppen der Region aufzubauen.
Aya – eine junge Baumwollarbeiterin, von Drohnen ermordet
Die kleine Schwester von Aya Ali al-Muhammad sitzt in der Ecke des Zimmers und lauscht weinend den Worten ihrer Mutter, die mit Schmerz und Verurteilung zu uns spricht. Sie sagt: Aya und ihre Gefährten trugen keine Waffen, um türkischen Flugzeugen entgegenzutreten. Warum wurden sie auf diese schreckliche, unmenschliche Weise getötet? Wie lange werden diese unmenschlichen Verbrechen noch andauern? Und warum schweigen die Welt, die Zivilgesellschaft und all die Menschenrechtsorganisationen?
Jeden Tag erneuert sich das Leid der Zivilbevölkerung in Nord- und Ostsyrien, weil der türkische Staat die Infrastruktur der Region mit Drohnen und Raketen angreift und die Strom- und Wasserversorgung, Fabriken und Institutionen zerstört. Mit diesen Angriffen versucht die Türkei, die Lage in der Region zu destabilisieren, Chaos zu schaffen und die Terrororganisation ISIS wiederzubeleben, weitere Gebiete in Nord- und Ostsyrien zu besetzen, die Menschen zu vertreiben und auf diese Weise eine ethnische Säuberungen und demografische Veränderungen in der Region durchzuführen.
Eines der Opfer dieser Angriffe ist Aya Ali al-Muhammad, ein junges Mädchen, das erst 17 Jahre alt war. Sie kam infolge eines Raketenangriffs auf eine Baumwollfabrik am 25.12.2023 in der Stadt Qamishlo ums Leben.
Aya besuchte die Grundschule im Dorf Al-Hajiya, das zur Stadt Qamishlo gehört. Mit Beginn der Revolution und aufgrund der Angriffe des Islamischen Staates, der Türkei und dem wirtschaftlichen Embargo gegen die sich entwickelnde Selbstverwaltung in der Region war die Familie gezwungen, in die Stadt Qamishlo zu ziehen, um dort Arbeitsmöglichkeiten zu finden und den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.
Aya konnte deshalb ihren Schulbesuch nicht fortsetzen, lesen und schreiben hat sie nicht gelernt. Ayas Familie gehört zu den armen Haushalten der Region. Zusammen mit Mutter und Vater, der Tante, den Geschwistern, Cousins und Cousinen lebt die 13-köpfige Familie (darunter 8 Kinder) gemeinsam in einem Haus. Der Vater arbeitet in der Gemeinde und auch die älteren Brüder sind Arbeiter.
Wie alle jungen Frauen ihrer Generation liebte Aya das Leben. Sie erfüllte das Haus auf unterhaltsame Weise mit Freude und Fröhlichkeit. Sie mochte es zu scherzen, hatte Freude daran sich schick zu machen, liebte die schönen Kleider, Parfüm und vor allem Schokolade.
Aya hatte sich entschlossen in der nahegelegenen Baumwollfabrik zu arbeiten, um für den Unterhalt der Familie mit aufzukommen. Sie arbeitete gemeinsam mit dutzenden anderen Männern und Frauen für ihr täglich Brot. Mühevoll wurde dort an Entkörnungsmaschinen und in Handarbeit die von den Feldern eingefahrene Baumwolle entkernt und für die Weiterverarbeitung vorbereitet.
Am Morgen des 25. Dezembers verließ Aya wie üblich ohne Frühstück das Haus und ging mit ihren Freunden in die Fabrik. Am Nachmittag hörte die Familie die Explosionsgeräusche in der Stadt. Sie ahnten noch nicht, dass auch die Baumwollfabrik, in der Aya arbeitete, von türkischen Drohnen angegriffen worden war. Aya wurde getötet und zwei weitere junge Frauen verletzt. Die Fabrik war kein Militärstützpunkt oder Munitionsdepot, sondern vielmehr eine Lebensgrundlage für viele Familien im mehrheitlich von arabischen Familien bewohnten Stadtviertel.